Mal wieder das Ticket vergessen? Besonders bei jungen Fahrgästen kann das schnell passieren. Etliche Verkehrsunternehmen stellen auch bei Minderjährigen ohne gültigen Fahrschein ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Rechnung. Ein aktueller Fall aus unserer Schlichtungspraxis zeigt, wie unterschiedlich die rechtlichen Auffassungen dazu sein können – und wie eine einvernehmliche Lösung durch eine Schlichtung aussehen kann.
In einer deutschen Großstadt stieg ein 14-jähriger Jugendlicher in eine Straßenbahn ein, hatte aber kein gültiges Ticket dabei. Bei der Kontrolle stellte ein Mitarbeiter des Verkehrsunternehmens ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 60 Euro aus. Die Eltern des Jugendlichen wandten sich daraufhin an die Schlichtungsstelle und beantragten, die Forderung aufzuheben. Ihr Argument: Ohne ihre Zustimmung sei kein gültiger Beförderungsvertrag zustande gekommen.
Das Verkehrsunternehmen lehnte die Einstellung der Forderung ab. Es vertrat die Auffassung, dass kein Vertrag notwendig sei. Der Anspruch auf das erhöhte Beförderungsentgelt ergebe sich schließlich aus gesetzlichen Vorschriften und nicht aus einem Vertrag.
Die Schlichtungsstelle prüfte das Anliegen und verwies zunächst auf die rechtliche Grundlage: Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen (BefBedV) ist ein Fahrgast verpflichtet, ein erhöhtes Beförderungsentgelt zu zahlen, wenn er ohne gültigen Fahrausweis fährt. Diese Verordnung wurde auf Grundlage des § 57 Abs. 1 Nr. 5 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) erlassen.
Unklar ist jedoch die Frage, ob dafür zwingend ein Vertrag zwischen Fahrgast und Verkehrsunternehmen bestehen muss.
Einige argumentieren, dass die BefBedV das Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nicht ersetzt. Das bedeutet: Es muss ein Beförderungsvertrag zustande gekommen sein – was bei Minderjährigen nur mit Zustimmung der Eltern rechtswirksam wäre. Ein weiteres Problem: Ab wann gilt der Vertrag als geschlossen – beim Einstieg, beim Ticketkauf oder bei der Entwertung? Hier spielt auch die Frage der „Generaleinwilligung“ eine Rolle – also ob Eltern mit der generellen Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch Vertragsbedingungen wie das erhöhte Beförderungsentgelt akzeptieren.
Andere Stimmen – darunter das Verkehrsunternehmen – gehen davon aus, dass es sich um einen gesetzlichen Anspruch handelt, der keinen Vertrag voraussetzt.
Diese Sichtweise stützt sich auf die Formulierungen in der Begründung zur Verordnung, in der von „Rechtsbeziehungen“ (nicht „Kundenbeziehungen“) gesprochen wird. Auch der § 828 Abs. 3 BGB wird angeführt: Demnach kommt es auf die Einsichtsfähigkeit des Kindes an – und beim Erkennen, dass man für eine Fahrt ein Ticket braucht, sei diese im Regelfall gegeben.
Da das örtliche Gericht mangels eindeutiger höchstrichterlicher Entscheidungen unterschiedlich urteilen könnte, besteht für beide Seiten ein gewisses Prozessrisiko.
In diesem konkreten Fall empfahl die Schlichtungsstelle, die Forderung auf 1,50 Euro zu reduzieren – also den Preis eines Kindertickets für Fahrgäste zwischen 6 und 14 Jahren. Diese Empfehlung beruhte auf der im vorliegenden Fall erkennbaren Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen, seiner finanziellen Situation sowie der besonderen Schutzbedürftigkeit Minderjähriger. Beide Seiten akzeptierten den Vorschlag und das Verfahren konnte erfolgreich beendet werden.
Dieser Fall verdeutlicht, dass es bei einer Schlichtung nicht ausschließlich um die Klärung rechtlicher Fragen geht. Die Schlichtungsstelle berücksichtigt stets auch die menschliche Dimension des Konflikts und bezieht – im Sinne der Empathie – ebenso bedeutsame, wenngleich rechtlich nicht verbindliche Aspekte mit ein. Das Recht bleibt jedoch stets Ausgangspunkt der Prüfung. Wie kulante Lösungen aussehen können und wie sie eine faire Interessenabwägung für beide Parteien ermöglichen, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. In jedem Fall muss der Fahrgast zuvor das Verkehrsunternehmen mit einer Beschwerde kontaktiert haben.
Noch mehr Informationen zum Schlichtungsverfahren finden Sie auf unserer Website unter: https://www.schlichtung-reise-und-verkehr.de/